Florida
Es ist Januar und ich fahre mit dem Auto vom kalten und verschneiten North Carolina immer in Richtung Süden, der ersehnten Wärme entgegen. An Atlanta vorbei immer auf der Interstate 75, bis die sich im Norden Floridas zweigt und als State Highway 91 an der Ostküste bis in die Everglades südlich von Miami weiterführt. Fast immer verläuft die Straße durch Wälder oder riesige Felder. Ansiedlungen sind kaum zu sehen, was das stundenlange Fahren recht langweilig macht. Die Entfernungsangaben in Meilen sorgen auch noch dafür, dass sich mein Ziel gefühlt nur sehr langsam nähert. Mit einer erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 55 (88 km/h), mal 65 (104 km/h) Meilen pro Stunde kommt man auch nicht wirklich gut voran, wenn man an deutsche Autobahnen gewöhnt ist.
Mein Ziel: der südlichste Punkt Floridas, Key West, mitten im Golf von Mexiko gelegen. Doch vor dem 250 km langen Weg über die Keys - der Kette aus ca. 200 Koralleninseln vor dem Festland der Halbinsel Florida - steht der Besuch Miamis an, besser der vorgelagerten Inselstadt Miami Beach.
Ich logiere in einem kleinen Hotel im Szeneviertel South Beach. Der Besitzer ist einer der 1,4 Millionen Hispanics im Großraum Miami, die hier eine spanisch sprechende Bevölkerungsmehrheit bilden. Viele von Ihnen sind Kubaner und deren Nachkommen, die den Inselstaat nach der Revolution von Fidel Castros verlassen haben. Und so wird im Hause mehr spanisch als englisch gesprochen. Die Wände der im verspielten Kolonialstil gestalteten Räume und Gänge sind mit unzähligen Bildern von den Dreharbeiten der Kult-Serie „Miami Vice“ mit ihren beiden Helden Tubbs und Crocket geschmückt, deren Innenaufnahmen zum großen Teil hier entstanden sein sollen.
Das Viertel selbst ist bekannt für seine Art-Deco-Gebäude, die in den dreißiger und vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts hier entstanden. Nach dem Krieg unansehnlich geworden, wollte man sie abreißen, bis sich erst in den siebziger Jahren ein Verein gründete, der die architektonischen Kleinode erkannte und Stück für Stück renovieren ließ. Die Fassaden erstrahlten nun in hellen Pastellfarben von Rosa und Lindgrün bis Türkis und hellem Ocker. Ob sich auf Grund dieser sanften und pudrigen Farben hier schnell eine Schwulen- und Lesbenszene etablierte oder ob diese Community auf die Farbgebung Einfluss nahm, konnte ich nicht erlesen.
Tagsüber bevölkern South Beach die so typisch amerikanischen Touristen mit ihren teils skurrilen und kunterbunten Strandklamotten, fast immer in kurzen knielangen Hosen und knappsten Badeschlappen, egal wie ästhetisch ihre Füße nun ausgeformt sind (oder eben nicht). Die wirklich Üppigen und Schweren vermisse ich etwas, sind sie doch im Bild gerade von Kleinstädten der USA überproportional vertreten. Ich denke mir, dass es hier so sauteuer ist, dass Vertreter der weniger Betuchten, die es durch die billige fastfood Ernährung mit ihrem Gewicht am schwersten haben, hier keine Freude finden.
Wenn es langsam dunkel wird erwacht die Regenbogen-Community und wenn man genau hinschaut, sieht man in den Straßen so manchen Paradiesvogel in die einschlägigen Klubs und Kneipen eilen. Ihre kakaobraune, schwarze oder weiße Hautfarbe ist mit kräftigen Farben und oft mit viel Glitzer geschminkt und bekleidet. Im strahlenden Sonnenschein des Tages vermute ich die Bühnen von Travestie- und Burlesque-Shows höchstens an den schillernden Namen über den Eingängen. Im Dunkel lockt die grelle und farbenfrohe Illumination die Besucher in diese Spektakel. Durch meine „sprichwörtliche“ Liebe zu dieserart Szene entscheide ich mich zugunsten von leckerem Essen für ein exquisites Restaurant und dem anschließenden Besuch eines guten Bier-Pubs. Dass die extrem freundliche Bedienung der beiden Lokale ebenfalls aus diesem Milieu kommt, war sicher zu erwarten. Heute stört mich das aus der Hüfte kommende und taumelige, aber sichere Balancieren des Tablettes mit meinem teuren Bier nicht. Sie beherrschen das einfach. Ich falle nach dem wirklich schönen Abend und bereits in der frühen Nacht in mein Hotelbett und bin um so viele Dollars leichter als noch am Morgen. Ob ich von den vielen männlichen Avancen geträumt habe, hat mein Gehirn am nächsten Morgen Gott sei Dank nicht gespeichert.
Ich freue mich auf den 165 Meilen langen Weg nach Key West auf dem U.S. Highway Nr. 1. Diese Straße wurde zusammenhängend erst nach dem Hurrikan des Jahres 1935 gebaut. Die vorher bestehende Key West Extension der East Coast Railway, der durch 42 Brücken zwischen den Inseln äußerst aufwendigen Eisenbahnverbindung, war durch den Wirbelsturm so stark zerstört, dass ein Wiederaufbau nicht mehr lohnte. Viele Brücken wurden nun für den Straßenbau genutzt, viele stehen verrostet noch heute neben neuen Überquerungen. Herrliche Fotomotive, wie ich finde, aber leider ist das Betreten streng verboten.
Da die meisten Inseln nur klein sind, hat man beim Befahren der Folge von Inseln und Brücken wirklich das Gefühl, mitten im Meer zu sein. Rechts und links umgibt mich nur Wasser, ganz besonders beim Überqueren der nicht wirklich stabil aussehenden Seven Mile Bridge, die mit 11 Kilometern die längste unter den Key Brücken ist. Was ein Hurrikan hier anrichten kann, verdränge ich lieber aus meinen Gedanken. Die karibische Januarsonne scheint friedlich und am Himmel sind nicht die kleinsten Wolken zu sehen.
Schließlich erreiche ich die letzte (bewohnte) Insel, nur 106 Meilen von Havanna entfernt. Die Suche nach einer Unterkunft erweist sich als schwierig, wenn man nicht zu den Betuchtesten gehört. Das preiswerteste Hotel mit Parkplatz in Key West kostet mich stattliche 350 Dollar pro Nacht, wenigstens mit Frühstück – das sollte es aber in sich haben.
Warum sollte man hierher kommen? Es ist voll, jetzt Ende Januar sehr voll. Die Kreuzfahrtriesen spucken tausende Touristen aus, die in den vielen Cafes und Kneipen in den wenigen Stunden ihres Aufenthaltes nur ein Bier oder einen Cocktail trinken. Die Sehenswürdigkeiten sind überschaubar. Ein altes Postgebäude, ein hübscher Leuchtturm, ein altes Fort, ein Friedhof mit Grabinschriften, die ich keiner mir bekannten Persönlichkeit zuordnen kann und ein buntbemalter Poller: Sothernmost Point of Continental U.S.A. Auf einer Insel eigentlich keine korrekte Bezeichnung, aber da es eine durchgehende Straßenverbindung gibt, war man hier großzügig.
Ansonsten gibt es jede Menge Galerien mit astronomischen Preisen für Kunst und sehr viele Andenkenläden, eigentlich wie überall auf der Welt. Ja, auch Hemingway lebte hier von 1928 bis 1939. Sein Haus, jetzt Museum, sieht wirklich nett aus. Hineinkommen ist ohne lange Wartezeit mit Anstehen nicht möglich. Mein Durst ist größer und ich lande in einer nach außen völlig offenen Kneipe mit einer Bühne, auf der verlassen Instrumente herumstehen. Ich hoffe auf einen Live-Act zu meinem Bier. Und wirklich, ich lande in einer kunterbunten Travestieshow, die „Kellnerinnen“ in ihrer Orientierung stilecht zur Darbietung passend. Um das auszuhalten, kann es nicht bei einem Bier bleiben, egal was es kostet. Wieder wird es spät. Ich falle in ein ausgezeichnetes Hotelbett.
Nun das Frühstück. Ich stehe in einer wirklich hübsch gestalteten Galerie mit Wasserfall und tropischen Pflanzen, halb im Haus, halb draußen gelegen. Ich habe Hunger. Unwillkürlich stoße ich einen lauten Lacher aus bei dem, was in diesem irre teuren Hotel für ein Frühstück aufgefahren wird. Gummiartige und gesüßte Riesen-Toastscheiben mit einem selbst zu bedienenden Toaster, der nur Holzkohle oder gewärmtes Weichgummi zulässt. Gezuckerte Erdnussbutter im Aluschälchen, eine weitere Streichcreme, Cornflakes, Milch und....nichts und. Das war das Frühstücksbuffet. Ich beschließe hungrig zu bleiben und sehe einen Korb mit Bananen. Ich bin unverschämt und stopfe meine Umhängetasche richtig voll dieser Früchte. Der Kellner, der eh nichts zu tun hat, schaut etwas verständnislos drein, sagt aber nichts. Und so verlasse ich mit meinem Mietwagen Key West wieder; Insel für Insel und Banane für Banane auf dem Weg zum Festland. . Der äthiopische Staat plant am Oberlauf des Omo einen gigantischen Staudamm samt Kraftwerk. Es soll angeblich der größte Afrikas werden. Straßenbaumaschinen in großer Zahl habe ich bereits gesehen. Der damit entstehende riesige See wird das gesamte Territorium nebst dem Klima dramatisch verändern. Und damit ändert sich auch der natürliche Lebensraum des „Museums der Völker“. So, wie es „noch“ ist, wird es nicht bleiben. Die Welt wird dadurch ärmer, Äthiopien dafür an Elektroenergie reicher. Dass das Land diese Energie dringend benötigt, sehe ich an den täglichen Stromsperren. Schade ist es allemal, weil wieder einmal unersetzliche menschliche Vielfalt verschwindet.
Dazu kommt zu allem Übel auch noch der kriegerische Konflikt mit dem Nachbarn Kenia, der bereits im vollen Gange ist. Der Omo ist der einzige natürliche Zufluss zum kenianischen Turkana See, dessen Wasserspiegel schon jetzt dramatisch absinkt. Wieder ein Kampf um Wasser auf dieser Welt. Und der wird sich an vielen Stellen weiter verstärken, je mehr Menschen unseren Planeten bevölkern. Und Äthiopien ist ein Land, das an vorderster Stelle für ein ungebremstes Bevölkerungswachstum sorgt.
Fast eine Woche hat mich dieser „Ausflug“ zum Ursprung unserer Menschheit gedauert. Ich habe ihn nicht bereut. Doch ich habe auch viel nachdenken müssen über das, was ich gesehen habe. Zu einem Ergebnis bin ich doch nicht gekommen.
Jetzt führt mein Weg langsam wieder nach Süden. Dort liegt mein Ziel: Kapstadt - und das ist immer noch weit.